Vom Öl- zum Solarzeitalter im Autoverkehr Positionspapier von Bündnis '90 / Die Grünen vom 19.06.2000 von Albert Schmidt, Michaele Hustedt, Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Margareta Wolf und Christine Scheel Die Veröffentlichung der "9 Thesen zum Solarwasserstoffauto" von Rezzo Schlauch, Michaele Hustedt und Albert Schmidt hat vielfältige Reaktionen und eine lebhafte verkehrspolitische Debatte ausgelöst. Die Fraktion Bündnis '90 / Die Grünen hat auf ihrer Sitzung am 06.06.2000 die Arbeitskreise I und II beauftragt, ein gemeinsames Positionspapier zum Thema vorzulegen, auf dessen Grundlage die Diskussion versachlicht und vorangetrieben werden soll. Gleichzeitig wird dieser Text als Ausgangsbasis für einen intensiven Dialog mit der Automobilindustrie, den Verkehrs- und Umweltverbänden sowie der Fachwissenschaft dienen. Die vertiefte Auseinandersetzung über neue Antriebstechniken und über den geeigneten Weg dahin kann und wird unsere Position auf die Probe stellen, schärfen und verändern. Sie hat insoweit vorläufigen Charakter und wird im Verlauf der weiteren Diskussion fortgeschrieben.
1. Der verkehrspolitische Rahmen: Nachhaltige Mobilität Im heutigen Verkehrsgeschehen spiegelt sich die Widersprüchlichkeit und Vielfalt gesellschaftlicher Realität wider: Einerseits ist Mobilität immer mehr zur Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe geworden. Sie steht für Selbstverwirklichung und für die Wahrnehmung von Lebenschancen. Andererseits führen ungebremste und ungelenkte Verkehrszuwächse, besonders auf der Straße und im Luftverkehr, zu negativen städtebaulichen, ökologischen und sozialen Folgen sowie zu erheblichen volkswirtschaftlichen Belastungen. Die vorrangigen Ziele bündnisgrüner Verkehrspolitik sind daher, Verkehrszuwächse einzudämmen, möglichst hohe Verkehrsanteile auf öffentliche Verkehrssysteme zu verlagern und die Mobilitätsbedingungen auch für die nichtmotorisierten VerkehrsteilnehmerInnen zu verbessern. Bewegungsräume von Fußgänger- und RadfahrerInnen, die durch eine autofixierte Politik erheblich beschnitten werden, müssen zurückgewonnen und erweitert werden. Hinzu kommt, daß das bisherige Mobilitätssystem und Verkehrsverhalten energie- und ressourcenverschwendend ist. Hier sind auch die VerkehrsteilnehmerInnen selbst gefragt: Die Nutzung des Autos im Nahbereich kann beispielsweise oft auch durch die Nutzung des Fahrrads ersetzt werden. Zur Erreichung unserer verkehrspolitischen Ziele setzen wir auf eine veränderte Siedlungspolitik und die schrittweise Herstellung von Chancengleichheit zwischen den Verkehrsträgern. Dies ist die Kernaufgabe einer modernen Verkehrspolitik. Nur durch vergleichbare Wettbewerbsbedingungen für die einzelnen Verkehrsmittel läßt sich ein umwelt- und sozialverträglicher modal split erreichen. Dies gilt für die Steuer- und Abgabenpolitik, für die Ordnungs- wie für Infrastrukturpolitik (vgl. "Schritte zur nachhaltigen Mobilität", Antrag zur bündnisgrünen Bundesdelegiertenkonferenz am 23./24. Juni 2000 in Münster).
2. Der Doppelcharakter des Autos Zu dieser Lebenswirklichkeit gehört die weitgehende Dominanz des Autoverkehrs. Das Auto hat sich aufgrund bestimmter Systemvorteile und einer jahrzehntelangen staatlichen Bevorzugung in Deutschland für drei Viertel aller Haushalte als unverzichtbares Verkehrsmittel etabliert. Sich dieser Tatsache zu stellen, bedeutet nicht ihre unkritische Akzeptanz. Doch die Ausblendung wesentlicher Aspekte der gesellschaftlichen Wirklichkeit wäre ein schlechter Ratgeber für ihre Veränderung. Das Auto garantiert ein hohes Maß an spontaner Bewegungsfreiheit und relativer Unabhängigkeit für den Einzelnen. Auch für grüne und unsere WählerInnen ist die räumliche Entgrenzung der Lebensstile mit einer zunehmenden Abhängigkeit vom motorisierten Verkehr Alltagserfahrung. Zur alltäglichen Mobilität gehört überall dort das Auto, wo ein ausreichendes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln fehlt. Während das Auto in der großstädtischen City fast schon ein Mobilitätshindernis darstellt und sich oft genug auch auf der Autobahn im Stau als "Stehzeug" erweist, ist es besonders im ländlichen Raum oft schwer entbehrlich. Pauschale Forderungen nach Verkehrsvermeidung bleiben häufig abstrakt, weil sie in der Praxis nicht gelebt werden können. Zielführender ist es, die tatsächliche Variabilität im Verkehrsverhalten einzelner zu beachten. So ist zum Beispiel ein reflektierter Umgang mit dem Auto durchaus verbreitet: Man nutzt es je nach Kostenabschätzung und Zweckmäßigkeit. Der Besitz des Autos muß keineswegs dessen ausschließliche Nutzung bedeuten. Die Möglichkeit, im Bedarfsfall jederzeit spontan darauf zurückgreifen zu können, wird jedoch von vielen sehr hoch eingeschätzt. Eine zeitgemäße Verkehrspolitik muß die Vielfalt des Verkehrsverhaltens mitbedenken. Wie im Energiebereich ist auch im Verkehr Energie- und Ressourcensparen möglich und wichtig. Die kluge und sparsame Nutzung des Autos (bzw. des jeweils effizienteren Verkehrsmittels) ist genauso von Bedeutung wie effiziente Technik. Hinzu kommen allerdings auch Attraktivitätsmerkmale des Automobils, die mit rationalen Transportzwecken wenig zu tun haben: Prestige- und Statusaspekte, Komfort und Bequemlichkeit, technische und ästhetische Faszination begründen sicherlich keine unmittelbaren verkehrspolitischen Folgerungen, üben jedoch als handlungsleitende Motive Wirkungen aus, die beachtet werden müssen. Das Auto bedient auch Ansprüche, die über den engen Transportnutzen hinaus gehen. Auf der anderen Seite bezahlen wir für die heutige Automobilität einen hohen Preis: Buchstäblich aus der Steuerkasse, weil die öffentlichen Hände die mit Abstand höchsten Investitionen für den Straßenbau aufwenden. Die externen Folgekosten des Straßenverkehrs, von der Schädigung der Wälder, der Entwertung von Wohngebieten durch Lärm bis hin zu den schrecklichen Folgen für tausende von Unfallopfern liegen noch um ein vielfaches höher oder sind in EUR gar nicht angemessen zu beziffern. Insbesondere die Zerstörung unserer Städte durch das Auto ist tiefgreifend. Unsere Jahrhunderte alte Städtebaukultur löst sich Zug um Zug auf in autoaffine Siedlungsstrukturen. Der Prozeß der Zersiedlung und Verkehrszerschneidung mit dem Herausstülpen städtischer Funktionen wie Einzelhandel und Gewerbe, Freizeit und Vergnügen an Autobahnknoten schreitet fort und schwächt die Städte immer mehr. Die BewohnerInnen leiden unter Stau, Unfallgefahren, Verlärmung und unersättlichem Stellplatzbedarf. Sie verlieren an Wohn- und Lebensqualität, was wiederum die Stadtflucht forciert und die Autoabhängigkeit im ländlichen Raum weiter verfestigt. In ökologischer Hinsicht wird die hohe Automobilität mit fortschreitendem Flächenverbrauch und mit der Zerstörung von Landschaft und Natur bezahlt. Bei den "klassischen" Luftschadstoffen des Automobils (Schwefel, Blei, Kohlenwasserstoffe, Stickoxide) ist aufgrund technischer Maßnahmen ein Entlastungstrend zu verzeichnen. Aufgrund der Bemühungen des Bundesumweltministeriums sind auch bei der Abgasminderung schwerer Dieselmotoren Verbesserungen zu verzeichnen. Ohne Gegenmaßnahmen wird uns allerdings das Problem des Sommersmogs noch lange erhalten bleiben. Die klimarelevanten Kohlendioxidemissionen (CO2) schließlich steigen stark an. Die Europäische Kommission (Mitteilung vom 08.03.2000) rechnet im Verkehr bis 2010 mit einem Zuwachs der CO2-Emissionen in der EU um knapp 40 % gegenüber dem Basisjahr 1990. Der Verkehr wird damit zum Klimaproblem Nummer 1. Die platte Anti-Öko-Steuer Kampagne von CDU/CSU und FDP belegt, wie einseitig und unrealistisch die Opposition mit dem Auto umgeht. Wer wie sie (und teilweise auch die SPD) die negativen Folgen des Autoverkehrs ausblendet, ist nicht zu einer verantwortlichen verkehrspolitischen Gestaltung fähig. Wer aber andererseits die Abhängigkeit unserer Gesellschaft vom Auto und die Systemvorteile und die Attraktivität des Autos ignoriert, wird in der verkehrspolitischen Praxis mit noch so guten Konzepten mangels gesellschaftlicher Akzeptanz scheitern. Bündnisgrüne Verkehrspolitik, wenn sie erfolgreich sein will, muß daher den Doppelcharakter des Autos im Blick haben, muß die Attraktivität ebenso wie die Belastungen durch den Autoverkehr zum Ausgangspunkt nehmen. Ökologische Verkehrspolitik muß dieses widersprüchliche Bewertungsprofil in ihre Strategie aufnehmen und für sich nutzbar machen.
3. Pro oder contra Auto? Als Reflex darauf geht es jetzt nicht um eine unkritische Sicht des Autos. Im Gegenteil: Der rationale Umgang mit dem Auto (alternative Nutzungskonzepte, neue Verkehrsdienstleistungen, car sharing usw.) wurde aus dem grünen Spektrum heraus entwickelt und organisiert und hat einen wirtschaftlich interessanten Markt geöffnet. Es geht nicht darum, in Sachen Auto eine Contra-Haltung aufzugeben oder eine Pro-Haltung einzunehmen. Wir haben immer sehr kritisch die Folgen einer unbegrenzten Automobilität zum Thema gemacht, Begrenzungen des Tempos und des Straßenausbaus gefordert und uns massiv für den Ausbau der umweltfreundlicheren Alternativen Bus und Bahn sowie für den Radverkehr eingesetzt. Wir haben uns am Leitbild der "Stadt der kurzen Wege" orientiert, weil es den Zusammenhang von Siedlungsstruktur und Verkehrserzeugung ernst nimmt. Das werden wir auch weiterhin tun. Aber: Selbst wenn die von der grünen Verkehrspolitik angestrebten Verlagerungsziele weitgehend erreicht würden, so wird es vor allem in ländlichen Regionen immer noch einen hohen Mobilitätsbedarf per Auto geben. Und es wird aus den unabweisbaren Entwicklungsansprüchen der Schwellen- und Drittweltländer heraus einen bedeutenden Zuwachs an Autoverkehr geben, den wir gar nicht unmittelbar beeinflussen können. Diese Automobilität muß so umweltverträglich wie möglich werden. Daher ist der Effizienzentwicklung der Motoren sowie der Förderung alternativer Antriebstechniken und Treibstoffe ein größeres politisches Gewicht zu geben als bisher - eine Maßgabe, die selbstverständlich auch für andere motorisierte Verkehrsträger gilt. Die technische Optimierung des Automobils liefert keine Generallösung für alle Folgeprobleme des motorisierten Individualverkehrs, aber sie muß neben allen bisherigen Konzepten fester Bestandteil ökologischer Verkehrspolitik werden. Fortschritte in der Motoren- und Antriebstechnik sind kein Instrument zur Verkehrsverlagerung. Dennoch müssen sie vorangetrieben werden, auch durch politisch gesetzte Anreize. Sonst werden Entlastungspotenziale vergeben, Effizienzmöglichkeiten verzögert und die Chance für einen umweltfreundlichen Technologiewechsel anderen Zielsetzungen, Akteuren und Interessen überlassen. Deshalb werden wir uns verstärkt in die Diskussion darüber einschalten, wie und womit das Auto der Zukunft fährt. Der VCD veröffentlicht jährlich eine "Umweltauto"-Hitliste, in der die verbrauchsärmsten Fahrzeuge empfohlen werden. Greenpeace machte im Wahlkampf '98 eine Kampagne zu einem 3-Liter-Auto, das in Motortechnik und Bauweise richtungsweisend war. Bündnis '90 / Die Grünen knüpfen daran an und werden sich für eine Halbierung des Spritverbrauchs einsetzen, zugleich aber auch für das emissionsfreie Auto. Unser Programm zum Ausbau des Öffentlichen Verkehrsangebots bleibt aktuell und vordringlich. Dazu hat die Fraktion in diesem Jahr wichtige Beschlüsse gefaßt, die auch Eingang in den Leitantrag zur Verkehrspolitik für die BDK am 23./24.06.2000 gefunden haben. Wir werden umso mehr davon umsetzen können, je nüchterner wir auch die Rolle des Automobils anerkennen und seine ökologische Optimierung politisch unterstützen. Der letztgenannte Aspekt soll im Folgenden vertieft dargestellt werden.
4. Die energiepolitische Herausforderung: Vom Öl- zum Solarzeitalter In der Automobil- und in der Mineralölindustrie wird damit gerechnet, daß sich schon im nächsten Jahrzehnt der Ölpreis im Vorfeld der erkennbaren Verknappung stark erhöhen wird. Namhafte Wissenschaftler erwarten diese Verteuerung bereits für dieses Jahrzehnt. Die Aufregung über den derzeitigen Anstieg des Benzinpreises, der größtenteils durch den Rohölpreis verursacht ist, ist nur ein Vorgeschmack dessen, was auf uns zu kommt, wenn die Endlichkeit der wirtschaftlich erschließbaren Rohölreserven für alle absehbar wird. Wir hängen zunehmend am Tropf der OPEC-Staaten – mit allen politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen, die auch zu neuen inner- und zwischenstaatlichen Verteilungs- und Knappheitskonflikten führen können. Auch andere Industriestaaten unternehmen enorme Anstrengungen, um sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen. Daher geht es auch darum, sich im Wettbewerb um einen zentralen Zukunftsmarkt einen führenden Platz zu sichern. Im Ergebnis kann somit das ökologische Anliegen, die klimarelevanten CO2-Emissionen zu senken, mit dem ökonomisch Sinnvollem verbunden werden. Es müssen neue Energieträger gefunden werden als Ersatz für Benzin und Diesel, die nicht so begrenzt und zugleich umweltverträglicher sind. Dafür muß in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Technologie bereitgestellt und eine neue Infrastruktur aufgebaut werden, damit zunächst eine Basis-, dann eine flächendeckende Versorgung zur Verfügung steht. Zuerst wird dies in den Ballungszentren für den Einsatz von Flottenfahrzeugen erreicht werden können, um dann Schritt für Schritt ein vollständiges Netz aufzubauen. Die Automobil- und die Mineralölindustrie stellen sich zunehmend dieser Herausforderung. In einem intensiven, wissenschaftlich begleiteten Diskussionsprozeß über die Energieträger der Zukunft haben sie sich in Abwägung mehrerer Möglichkeiten auf Erdgas, Methanol und Wasserstoff als Ersatzbrennstoffe für Öl verständigt – bei einer deutlichen Präferenz für regenerativ erzeugten Wasserstoff, einen Treibstoff, der zu 100 Prozent nicht-fossil erzeugt werden kann. In der Industrie wird intensiv an der Wasserstofftechnologie gearbeitet. Es herrscht Aufbruchstimmung. In der nächsten Zeit werden diverse internationale Kongresse diesen Prozeß vorantreiben. Shell und BP gehen davon aus, daß sie schon in wenigen Jahrzehnten mehr Gewinne mit erneuerbaren Energien erwirtschaften als im Mineralölgeschäft. Shell betreibt in Gelsenkirchen (NRW) eine der größten Photovoltaikfabriken der Welt. Und viele Automobilhersteller entwickeln ein Brennstoffzellen- oder Wasserstoffauto für die künftige Serienproduktion. Im Rahmen der "Verkehrswirtschaftlichen Energiestrategie" (VES) moderiert das Bundesverkehrsministerium die Untersuchungen wichtiger Fahrzeughersteller und Energieunterneh-men und die strategische Entscheidung für einen sauberen Kraftstoff der Zukunft. Bündnis '90 / Die Grünen unterstützen diesen Prozeß aktiv und sehen ihre Aufgabe darin, auch im Verkehr den Weg ins Solarzeitalter zu öffnen. Auch außerhalb der Industrie gibt es eine Reihe von Erfindungen und Entwicklungen, die zum Teil von mittelständischen Unternehmen (oft ohne Unterstützung durch öffentliche Fördergelder) zur Kleinserienreife vorangetrieben wurden. Ob Wasserstoff auch einen Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz leistet, hängt von der Art seiner Erzeugung ab. Er ist nur so ökologisch wie der Energieträger, der zu seiner Erzeugung eingesetzt wird. Wasserstoff, erzeugt durch Elektrolyse mit Hilfe von Atomstrom oder fossilen Kraftwerken, wäre aus unserer Sicht sogar ein Rückschritt. Auch die Gewinnung von Wasserstoff aus Erdgas kann aus dieser Perspektive nur eine notwendige Übergangstechnik darstellen. Letztlich macht nur der solar bzw. regenerativ erzeugte Wasserstoff das Wasserstoffauto zum Null-Emissions-Fahrzeug. Damit dieses Ziel künftig tatsächlich erreicht werden kann, müssen wir heute aktiv die Entwicklung der entsprechenden Technik und Infrastruktur vorantreiben. Aufgabe der Politik ist es, dem Fortschritt die richtige Richtung zu geben. Um Wasserstoff in großer Menge regenerativ zu erzeugen, sind grundlegende Veränderungen in der Energiewirtschaft nötig. Neben dem massiven Ausbau der regenerativen Energien im eigenen Land rückt damit auch der Bau von Solarkraftwerken im Sonnengürtel der Welt und der Transport des damit erzeugten Wasserstoffs auf die Agenda. Dabei sind noch eine Vielzahl technischer Probleme zu lösen, da Wasserstoff sehr stark gekühlt werden muß, um flüssig zu bleiben, und zudem chemisch aggressiv ist. Die Lösung dieser Probleme braucht Zeit. Jede Form der kurzfristigen Effizienzverbesserung ist daher sinnvoll und notwendig als zeitliche und technische Brücke vom Öl- ins Solar- und Wasserstoffzeitalter. Dazu gehört insbesondere auch die von der Bundesregierung mit großem Nachdruck betriebene Strategie zum verstärkten Einsatz des relativ umweltfreundlichen Erdgases in stationären Fahrzeugflotten. Jede weitere technische Option, die statt fossiler erneuerbar erzeugte Treibstoffe als Energieträger einsetzt, kann einen wertvollen Beitrag zur Überwindung des Ölzeitalters leisten (siehe Punkt 6).
5. Doppelstrategie: Effizienzrevolution und regenerative Treibstoffe Ein Entweder-Oder-Debatte – entweder Effizienzmaßnahmen oder Solar-/Wasserstoffauto - ist beim Auto ebenso unfruchtbar wie bei der Stromerzeugung. Denn auf der Zeitachse wird in der Automobiltechnik die Effizienzsteigerung zuerst die größeren praktischen Ergebnisse für die CO2-Einsparung bringen. Wenn aber deren wirtschaftliche Potenziale ausgeschöpft sind, müssen die regenerativen Energieträger so marktfähig sein, daß sie auf breiter Front die Leistung übernehmen können. Wegen der Endlichkeit der fossilen Ressourcen gibt es dazu keine Alternative, auch nicht im Verkehr. Hier ist die Zeitachse für den Systemwechsel nur länger. Er muß aber heute auf den Weg gebracht werden. Wir halten daher eine Doppelstrategie für notwendig, die Effizienzmaßnahmen und die Vorbereitung des Solar-/Wasserstoff-Zeitalters gleichzeitig vorantreibt.
5.1 Politische Anreize zur Effizienzrevolution Da der Einsatz regenerativer Treibstoffe sowohl in der Automobilindustrie als auch bei der Infrastruktur nur Schritt für Schritt ausgeweitet werden kann, werden noch für etliche Jahre Treibstoffe aus fossilen Grundstoffen (Benzin, Diesel, Erdgas) beherrschend bleiben. Sie müssen in Verantwortung für künftige Generationen umso sparsamer und wirkungsvoller eingesetzt werden. Analog zur Stromwirtschaft muß deshalb auch in der Automobilherstellung eine Effizienzrevolution über die ganze Angebotspalette neuer Fahrzeuge mit dem Ziel der Halbierung des Flottenverbrauchs durchgesetzt werden. Dazu kann die Politik durch entsprechende Rahmensetzung wesentlich beitragen: Die ökologische Steuerreform gibt einen nachhaltigen finanziellen Anreiz zu einer spritsparenden Fahrweise, aber auch zu einer verstärkten Nachfrage nach verbrauchsärmeren Fahrzeugen. Im Ergebnis wirkt sie innovationsfördernd für die beschleunigte Markteinführung des 3-Liter-Autos sowie für den Übergang ins Zeitalter der erneuerbaren Antriebstechniken und soll daher wie beschlossen fortgeführt werden. Zu prüfen ist, inwieweit nach einer Rentenstrukturreform Teile des Ökosteueraufkommens für ökologische Innovationen eingesetzt werden, z.B. für den Ausbau von Bahn und Bus und für ein Altbausanierungsprogramm, aber auch für die Erforschung und Markteinführung solarer Antriebstechniken. Eine gestaffelte Absenkung der Kraftfahrzeugsteuer für besonders sparsame Fahrzeuge soll – wie damals bei der Einführung des Katalysators – das Tempo der Flottenumstellung auf benzinsparende Modelle beschleunigen. Flottenverbrauchsregelung: Die Automobilindustrie ist ihrer (Selbst-)Verpflichtung bislang nicht ausreichend nachgekommen. Die Vision des schadstofffreien Autos der Zukunft entbindet sie nicht von ihrer Aufgabe, heute die Flottenverbräuche erheblich zu senken. Nach einer kritischen Zwischenbilanz der freiwilligen Selbstverpflichtung der Automobilindustrie muß deshalb ein verbindlicher Zeitplan für die weitere schrittweise Reduktion des Spritverbrauchs (Halbierungsplan) verabredet werden. Dazu gehören Kriterien, die Zielvorgaben definieren, nachvollziehbare Kontroll- und Überprüfungsmechanismen und die Vereinbarung von Sanktionsmöglichkeiten. Dies und die Einführung neuer Antriebstechniken soll Thema eines Autogipfels auf Einladung der Bundesregierung werden. Die Perspektive eines emissionsfreien Solar-/Wasserstoff-Autos darf nicht dazu führen, daß die Anstrengungen zur effizienten Nutzung fossiler Energieträger nachlassen. Effizienzrevolution heute und Solarzeitalter morgen sind Bestandteile einer gemeinsamen Strategie.
5.2 Die Förderung von Solar- und Wasserstoffantrieben Derzeit werden von der Industrie und vom Mittelstand verschiedene technische Optionen getestet oder bereits in Kleinserien angewandt, die für unterschiedliche Marktsegmente von großer Bedeutung sind:
Wasserstoff in der Brennstoffzelle oder im Verbrennungsmotor Wasserstoff ist ein sauberer Energieträger. Er verbrennt praktisch schadstofffrei zu Wasser. Eine Chance des Wasserstoffs scheint in seiner Speicher- und Transportfähigkeit zu liegen. Damit könnte er Benzin und Diesel ersetzen. Entscheidend für den Klima- und Ressourcenschutz ist, wie bereits dargestellt, die Herstellung des Wasserstoffs aus erneuerbaren Energien. Dafür kommt die gesamte Palette der erneuerbaren Energiegewinnung in Frage.
Solare Elektroleichtmobile
Pflanzenölmotoren
Biogasantriebe
Methanol, Dimethylether (DME), Benzin oder Diesel aus Biomasse Methanol aus Biomasse ist ein interessanter Treibstoff, er kann sowohl in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden als auch in der Brennstoffzelle. Methanol könnte ein Massentreibstoff der Zukunft werden und befindet sich in der "Verkehrswirtschaftlichen Energiestrategie" (vgl. oben) in der engeren Auswahl der drei wichtigsten Alternativen. Bevor ein Methanolpfad eingeschlagen wird, müßte jedoch eine umfassende Technikfolgenabschätzung vorliegen, die insbesondere das Problem der Wasserlöslichkeit und der hohen Toxizität von Methanol bewerten muß. Für DME, Benzin und Diesel aus Biomasse gilt zur Zeit nicht die sonst für Treibstoffe aus Biomasse übliche Mineralölsteuerbefreiung. Diese Steuerbefreiung sollte möglichst rasch gewährt werden.
Druckluftauto
5.3 Politische Initiativen für das emissionsfreie Automobil Es ist ein grünes Projekt, aktiv die Entwicklung zu einem emissionsfreien Auto voranzutreiben. Auch bei den erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung hat es grüner Regierungsbeteiligung bedurft, damit die Aufbruchstimmung in der Gesellschaft entstehen konnte. Gerade in der Verkehrspolitik sind Erfolge erst durch die Kooperation höchst unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure zu erzielen. Wo gemeinsame Ziele verfolgt werden können, sind wir zur Allianz mit der Autoindustrie bereit. Wenn die Industrie allerdings mit dem Verweis auf die solare Zukunftsvision aktuelle Schritte zur Effizienzverbesserung fossiler Technik unterlassen will, werden wir genau diese Schritte im Sinne der dargestellten Doppelstrategie konsequent einfordern. Vorrangig muß die Bundesregierung den Entscheidungsprozeß moderieren - in Deutschland wie in Europa. Automobil- und Mineralölfirmen müssen sich auf einen, für bestimmte Marktsegmente auch mehrere neue, umweltverträgliche Energieträger einigen. Die Forschungspolitik muß hier einen neuen Schwerpunkt setzen. Die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in Richtung Wasserstofftechnik, regenerativer Methanolerzeugung, Batterieentwicklung, Treibstoffe aus Biomasse und der anderen genannten Alternativen sollen verstärkt werden. Besonders wichtig sind Studien zur Technikfolgenabschätzung, die die neuen Technikpfade "from well to wheel" umfassend auf ihre ökologische Qualität hin bilanzieren. Perspektivisch muß auch die Steuerpolitik unterstützend eingreifen und ökologisch förderwürdige erneuerbare Treibstoffe steuerlich begünstigen. In Frage kommen Markteinführungshilfen sowohl für neue Antriebe wie für den Bau der entsprechenden Fabriken z.B. aus den Einnahmen der Ökosteuer. Auch verkehrsrechtliche Maßnahmen können die Markteinführung beschleunigen. Denkbar ist z.B. die Öffnung von Busspuren für kleine, leichte Nullemissionsautos oder ein Führerschein ab 16 Jahren für langsame (bis 50 km/h) Fahrzeuge dieser Art. Für die internationale Zusammenarbeit beim Klimaschutz im Sinne des Kioto-Prozesses eröffnen sich durch die neuen Antriebstechniken möglicherweise neue und sinnvolle Optionen für bilaterale Vereinbarungen im Sinne von joint implementation. So ist zu prüfen, ob in Regionen der Welt, in denen bisher kein dichtes Benzin-Versorgungsnetz aufgebaut ist, mit Hilfe der Industriestaaten vorrangig Versorgungsstrukturen für alternative Treibstoffe aufgebaut werden können. Nach dem Abschluß des Energiedialogs sollte die Bundesregierung schnellstmöglich zu einem Verkehrsdialog in Deutschland einladen, der die hier erörterten Fragen mit allen beteiligten Akteuren im verkehrspolitischen Gesamtkontext diskutiert. Ziel des Dialoges ist es, für die notwendigen umfangreichen, technischen und politischen Kurskorrekturen unseres heutigen Mobilitätssystems Konsensmöglichkeiten auszuloten. Besonders sorgfältig müssen die für die erneuerbaren Antriebstechniken notwendigen politischen Rahmenbedingungen verabredet werden, um von der rituellen und politisch unfruchtbaren Benzinpreisdebatte zu einer konstruktiven und gesellschaftlich mehrheitsfähigen verkehrswirtschaftlichen Energie- und Politikstrategie zu gelangen. Abschließend sei noch einmal betont, daß weder die technische Effizienzrevolution noch neue, solare Antriebstechniken alleine in der Lage sind, sämtliche Folgeprobleme des Autoverkehrs zu lösen. Hier bleiben Städtebau und Siedlungspolitik, die Verkehrspolitik sowie die Steuer- und Ordnungspolitik gefordert. Technische Innovationen können jedoch zur Lösung der verkehrsbedingten Emissions- und Klimaproblematik unverzichtbare Beiträge leisten. Zunächst geht es um ein hocheffizientes, schadstoffarmes, aber noch mit fossilem Treibstoff fahrendes Automobil, letztlich aber um die Perspektive eines mit erneuerbarer Energie angetriebenen, praktisch emissionsfreien Autos – im Kontext eines integrierten und zugunsten von Bahn und Bus umgebauten Systems nachhaltiger Mobilität. Dies ist ein grünes Thema, das neue Allianzen ermöglicht, deren Chancen und Risiken wir ausloten werden.
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