Unter Bayerns Krone

01 Kein einigendes Vaterland
--- 01 Auf Souveränität bedacht
02 Große Namen und
--- Großzügige Spenderin
03 Armut und Wohlfahrt
04 Stetes Wachstum
05 Erlangen behält die Universität
--- 01 Stadt wuchs nach Osten
--- 02 Getrennte Klassen
06 Brennholz war teuer
07 Jubel für Preußen
--- 01 Die Industrialisierung
08 Ungehorsam gezeigt
--- 01 Ein Klima der Angst
--- 02 Ritt auf Eseln

 

09 Es geht aufwärts und
--- 22 Sonderzüge fuhren
------- Alle Schichten vereint
10 Großzügiger Uni-Ausbau
11 Kinderfreuden
--- 01 Das Erlanger Blasrohr
--- 02 Spione und dicke Männer
--- 03 Zwei Briefkästen
12 Ein Mann mit Weitsicht
13 Eine große Investition
14 1918 war die Zeit der Könige
..... und Kaiser vorbei
--- Flottenverein gegründet

 

 

03 Armut und Wohlfahrt

Kampf gegen bittere Not

Auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es wie wiederholt zuvor in der Stadtgeschichte noch zwei Mal zu dramatischen Notjahren, die besonders Menschen ohne Geldrücklagen existenziellbedrohten. In der Erinnerung der Erlebnisgeneration blieben die durch Kälte und Nässe bedingten Missernten des Jahres 1816, die 1816/17 eine ungeheuere Teuerung bewirkten.

Die bayerische Regierung führte Getreide aus Russland ein, Erlangen musste wie andere Gemeinden Kredite aufnehmen, um von staatlichen Vorräten zu profitieren. Die 1825 noch verbleibende Schuldensumme von 2694 Gulden wurde der Stadt schließlich "aus allerhöchster Gnade" erlassen.

1846/47 wiederholten sich solche Erscheinungen außergewöhnlicher Not. Die Getreide- und Kartoffelpreise waren nach Missernten 1846 so dramatisch gestiegen, dass der Magistrat an die ärmere Bevölkerung aus einem im Redoutensaal untergebrachten Brotmagazin fast 250000 Laibe Brot ausgab. Wohlhabende Bürger gewährten unverzinsliche Darlehen, mit denen Kartoffeln angekauft wurden. Indem der Armenpflegschaftsrat sie demonstrativ auf dem Wochenmarkt billig an die Minderbemittelten verkaufte, zwang er auch die übrigen Verkäufer, mit überzogenen Preisen entsprechend herunterzugehen. So wurde die letzte vorindustrielle Hungerkrise der Stadtgeschichte teilweise sogar einfallsreich, wenn auch mühsam gemeistert.

Das Hungerjahr 1847 hatte auch eine verschlechterte Absatzlage der Gewerbe zur Folge. Unsicherheit und Verbitterung der vom Hunger bedrohten Schichten begünstigten die im März 1848 zum Ausdruck kommende Unzufriedenheit mit den sozialen und politischen Verhältnissen des "Vormärz".

Um "den Missständen in der Wohltätigkeit unserer Stadt abzuhelfen und den größten Nothständen unter den Armen beizukommen", gründeten Erlanger Bürger 1848 den "Verein für Armenpflege". Nahrungs- und Kleidungssorgen, die mangelnde Versorgung mit Heizmaterial und vor allem miserable Wohnverhältnisse prägten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Leben der ganz Armen. Eine staatliche Sozialfürsorge gab es noch nicht.

Die im Folgenden beschriebenen üblichen Zustände der Haus- und Straßenbettelei wollte der Verein geändert wissen:

"Man vergegenwärtige sich doch einmal einen Montag und besonders einen Freitag des December 1848; in allen nur irgend wohlhabenden Häusern wimmelts von Bettlern, die ihren Montagskreuzer oder ihren Freitagspfennig contributionsartig eintreiben. Es ist Winter und vor Kalte zitternd tapsen die alten Männer und Weiber durch die Straßen, schleichen zitternd die Treppen hinauf und warten an den Tühren, bis ihre Gabe ihnen gereicht ist. So durchwandern sie die halbe Stadt, und nicht bloß die Alten, sondern die Jungen sind mit ihnen, und nicht bloß am Montag und Freitag, wenn auch das die vornehmsten Betteltage waren, - an jedem Tag konnte derselbe Anblick dem vorübergehenden Beschauer werden."

Der Verein unterstützte mit seinen Initiativen den Armenpflegschaftsrat. Die Stadt wurde in acht Einzelbezirke für Armenpflege aufgeteilt. In jedem Bezirk übernahm eine Gruppe die Organisation der Hilfe. Diesen Helfern gelang es schnell, 400 Erlanger Privatpersonen für die Ziele ihrer Arbeit zu gewinnen. Geschäftsinhaber wurden gefragt,

"ob sie zu bestimmten Zeiten an Brot, Fleisch Mehl, Kartoffeln, Holz und Kleidungsstücken etwas geben wollten".

Außerdem konnte der Verein wohlhabende Privathaushalte dafür gewinnen, den Armen an festgelegten Tagen eine Mahlzeit zu verabreichen. Abgabestellen für alte Bekleidungsstücke wurden eingerichtet. Frauen gaben 130 Kindern aus Armenfamilien Strick- und Nähunterricht; dabei wurden aus Spenden angeschaffte Stoffstücke zu Bekleidungsstücken umgearbeitet.

Der jeweils "dürftigsten unter denen ....... acadernischen Wittwen" Erlangens sollte eine jährliche Beihilfe von 50 Gulden ausgezahlt werden. So hatte es 1779 Markgraf Alexander bestimmt. Der Fortbestand dieser Stiftung in bayerischer Zeit ist durch Ursula Münchhoff untersucht worden. Demütigend war nicht nur der mit dem Antrag verbundene Papierkrieg und der immer wieder zu erbringende Nachweis der eigenen Not und Dürftigkeit.

Universitäts-Senat und Ministerium hatten gelegentlich auch zu entscheiden, ob der Titel "Ärmste der Witwen" nicht einer anderen Professorenfrau zukäme und der bisher unterstützten entzogen werden musste. Manchmal bewarben sich mehrere Witwen gleichzeitig um den mit diesem Titel verbundenen Zuschuss.

Immerhin konnte man 1790 für 50 Gulden l 500 Pfund Brot kaufen,
1851 reichte der Betrag noch für die Hälfte (750 Pfund Brot).

Solche zur Erlanger Frauengeschichte gehörenden Erscheinungen weisen auf die Mängel in der Versorgung der "Relikten" (Hinterlassenen) der Professoren hin. Garantierte staatliche Witwenrenten (ein Fünftel vom Dienstgehalt des Mannes) gab es erst seit der Einführung der "Dienstpragmatik", der Verbeamtung der Universitätsangehörigen 1835. Auch danach fiel die Witwenversorgung oft noch spärlich aus, denn erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stiegen die Gehälter der Professoren und damit die Höhe der Witwenpensionen erheblich an. Vor der Einführung der staatlichen Witwenrente kannte man nur das "Gnaden"- oder "Nachsitzjahr", die befristete Weiterbezahlung der Bezüge des Verstorbenen inklusive der Überlassung von Holz und Getreide. Da Erwerbsarbeit außerhalb sich nicht mit dem Standesbewusstsein vertrug, versuchten die Not leidenden Witwen durch - möglichst heimlich gehaltenes - Nähen, Stricken und Flicken für andere Leute über die Runden zu kommen.


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