Erlangen im Ersten Weltkrieg
Die Heimatfront hatte schwere Lasten zu tragen.
Am 1.August 1914 begann der Erste Weltkrieg. Mehr als 400 Studenten der Universität und mehr als 600 Erlanger Bürger waren bis zu seinem Ende im November 1918 gefallen. Diese Zahlen nennt das Stadtlexikon. Der folgende Beitrag zeigt, wie stark der Krieg auch das zivile Leben an der "Heimatfront" prägte.
Eine ungeheuere Spannung löste sich, viele Menschen fühlten sich von einem rauschhafter Aufbruch erfasst, nachdem der Mobilmachungsbefehl erlassen worden war. Aber von den unterschiedlichsten Ausdrucksformen vaterländischer Begeisterung, die nun im städtischen Leben hervortraten, wurden ebenfalls vorhandene Besorgnisse, Ängste und allzu menschlicher Verhaltensweisen überdeckt. Zur Realität der Augusttage vor 90 Jahren gehörte auch die Warnung Bürgermeister Dr. Theodor Klippels vor "Preistreibereien, die ebenso ungerechtfertigt als unpatriotisch" seien. Viele Leute wollte statt Papiergeld nur noch Hartgeld annehmen. Der Konsum-Verein wehrte sich in einer Großannonce gegen das Gerücht, er müsse wegen Mangels an Waren und Mehl seine Läden und Bäckereien schließen Wie andernorts wurden auch in Erlangen Straßensperren errichtet und fremde Autofahrer festgenommen, weil angeblich Agenten Geld nach Russland zu schaffen versuchten. Ernst Penzoldt hat diese Erscheinungsform kollektiver Panik, die auch von der lokalen Presse angeheizt wurde, viele Jahre später literarisch aufgegriffen.
Klippel und der 2. Bürgermeister Emil Fränger kämpften zusammen mit den nicht eingezogenen Verwaltungsbeamten und den ehrenamtlichen Mitgliedern des Kriegsfürsorge- und Lebensmittelausschusses mit größtem Engagement darum, die wachsenden Kriegsnöte zu lindern. Dazu gehörte auch die Einrichtung der vielgenutzten drei "Volksküchen" Immer mehr Kompetenzen wuchsen dem Lebensmittelausschuss zu. Er befasste sich mit den städtischen Einkäufen, der Verteilung und Preisfestsetzung von Lebensmitteln. Die Einführung von Lebensmittelmarken - zuerst für Brot (1915), 1916 dann für Fleisch, Kartoffeln, Butter, Käse, Eier, Zucker ,Milch, Seife, Petroleum und Spiritus - sollte auch bewirken, dass die der Bevölkerung zugemuteten Einschränkungen von allen Schichten gleichmäßig getragenen wurden. Tatsächlich aber vertiefte sich die Kluft zwischen Darbenden und Wohlhabenden. Dank eines professionell betriebenen "Schleichhandels" konnten Zahlungskräftige sich auf dem Schwarzmarkt auch bei zunehmendem Mangel noch immer mit zusätzlichen Nahrungsmitteln versorgen. Das erbitterte die Minderbemittelten und von der rapiden Geldentwertung am meisten Betroffenen und wirkte psychologisch verheerend. Gleichzeitig sah man es in vielen Familien, gerade auch im Bildungsbürgertum, andererseits als selbstverständlich an, dass das Vaterland vor den individuellen Interessen zu stehen habe. Viele Erlanger Frauen und Männer bewiesen im Lazarettdienst und bei vielen anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten Idealismus und großen Opfersinn. Auch die vielen Sammel- und Spendenaktionen demonstrierten die Hilfsbereitschaft der Einwohnerschaft.
Bisher Unvorstellbares geschah, als in Erlanger zusammengezogene Soldaten, die auf Heimaturlaub anstatt Fronteinsatz gehofft hatten, im Mai 1918 Schutzleute verprügelten und am Rathaus 29 Fensterscheiben einschlugen, wozu ihnen neben dem Bajonett auch von hiesigen Frauen zugereichte Steine dienten. Beim Abtransport am folgenden Tag warfen sie am Bahnhof auch noch mit Schottersteinen auf den 2.Bürgermeister und den Garnisonältesten und weitere Honoratioren. Der Vorfall blieb in Erlangen singulär, war aber doch ein Zeichen für den auch in der Provinz demonstrierten dramatischen Zerfall der Staatsautorität im Verlauf des Krieges, Monate bevor die Novemberrevolution zum Ende der monarchischen Ordnung in Bayern führte.
Dr. Heinrich Hirschfelder Jahrgang 1941, verheiratet, zwei Töchter, bis 2003 Lehrer am Emil-von-Behring-Gymnasium in Spardorf |
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