"Dagestanden, gschaut und nix gmacht"
Tafel am Rathaus thematisiert Antisemitismus in Adelsdorf
Im fränkischen Adelsdorf liegt nicht nur der Hund begraben sondern
auch der ehemalige NS-Bürgermeister und SA-Rottenführer Wilhelm
Koch - dessen "Verdienste" sind vielen Adelsdorfer
BürgerInnen in
guter Erinnerung und werden seit seinem Tode durch die "Wilhelm-
Koch-Straße" vor Ort gewürdigt.
Vorbei ist es mit der Beschaulichkeit seit die jüdischen
Landgemeinden eine Umbenennung dieser Straße fordern, an die
Mitwirkung Kochs bei der Deportation von 15 jüdischen Menschen und
an seine ausgeprägt antisemitische Haltung als Schulleiter während
der NS-Zeit erinnern. Nachdem der Gemeinderat mehrheitlich an der
bisherigen Namengebung festhielt, veranstalteten die jüdischen
Landgemeinden am 11.9.97 in Adelsdorf einen Lichterzug unter dem
Motto: "Wer die Täter ehrt, verhöhnt die Opfer".
Die 35
TeilnehmerInnen wurden dabei von ca. 400 Adelsdorfer BürgerInnen
mit Sprüchen wie "Juden raus" und "Euch hat
man beim Vergasen
vergessen" beschimpft , bespuckt und bedroht. Die Schlußkundgebung
ging in Pfiffen und Gejohle unter.
Seitdem sorgt man sich um den Ruf von Adelsdorf - nicht etwa wegen
des offenen Antisemitismus vieler Adelsdorfer BürgerInnen,
vielmehr würde die aufgeregte Berichterstattung darüber in der
Lokalpresse den Vorfall "überbewerten" und Adelsdorf in ein
falsches Licht rücken. So beschwert sich beispielsweise
Leserbriefschreiber Josef Heimberger in den "Nordbayerischen
Nachrichten": "Überdenkt man das Ganze, läßt
sich der Eindruck
nicht verdrängen, daß `Manipuliertes`eingeflossen ist. (..) Die
Veröffentlichung falscher Tatsachen, auch in Israel und Amerika,
mag zwar rentierlich sein - dem Ruf von Adelsdorf hat sie enorm
geschadet". Da klingen alte antisemitische Stereotypen mit: das
Weltjudentum macht Profit auf Kosten der deutschen
Volksgemeinschaft.
Um der lieben Ruhe willens beschloß der Gemeinderat kurze Zeit
später mit einer knappen Mehrheit, die Straße nun doch
umzubenennen. Der Normalzustand war wieder hergestellt.
30 Leute aus Erlangen, Nürnberg, Fürth und Bamberg wollten es
dabei nicht belassen und montierten letzten Samstag mittags neben
den Schaukästen von Kriegerverein und Landsmannschaften eine Tafel
ans Adelsdorfer Rathaus: "Adelsdorf 1933 bis 1997 - Bis 1945:
Jüdische EinwohnerInnen werden deportiert und der Vernichtung
preisgegeben. 1955: Benennung einer Straße nach dem ehemaligen NS-
Bürgermeister und SA-Rottenführer Wilhelm Koch. 1997: Bedrohung
einer Gedenkveranstaltung für die deportierten Juden und Jüdinnen
durch ca. 500 Adelsdorfer BürgerInnen. Deutsche Kontinuitäten in
Adelsdorf und anderswo!"
Die anschließende Kundgebung am Marktplatz thematisierte diese
antisemitsche Kontinuität und fand kaum Beifall bei den wenigen
PassantInnen, die sich angesichts einer Videokamera dazu äußern
wollten: Zwei ZuhörerInnen bewerteten die Aktion durchaus als
positiv. Die Mehrheit reagierte gar nicht oder erwartungsgemäß:
Neben einer traditionellen Bekundung "aufhängen!" (ohne Kamera)
findet ein anderer das "krakeelen" gegen den Lichterzug auch nicht
richtig, hat aber die Erinnerungsarbeit satt: "Die Zeit ist rum,
wenn nicht mehr soviel drangedacht würde, wäre - glaub ich -
gscheiter. Momentan wird des alles ein wenig übertrieben, mit dem
ganzen Judenzeugs. Gedenktafeln - ja richtig, aber daß von den
Medien immer so viel geschrieben wird über die NSDAP-Zeit - das
soll doch endlich mal vergessen werden. (...). Das war halt damals
die Zeit, dasselbe wie heute die DDR. Bei denen ist alles ruhig,
und bei uns, wo es schon 50 Jahre her ist, ist der Teufel los."
Einen weiteren Bürger erregt die Sorge um das Ansehen des Ortes:
"Unverschämtheit, Adelsdorf so hinzustellen, als Judenhasser! Ich
weiß auf jedenfall nimmer was damals war, aber richtig ist nicht,
was ihr da schreiben tut, daß die Leute vom Ort her so Judenhasser
warn. Daß das nicht richtig ist, was damals mit den Juden gemacht
worden ist - okay, aber man kann doch heute nicht den Ort, mir
geht's nur um den Ort selber, in ein Licht stellen, was überhaupt
nicht richtig ist. (Auf den Lichterzug angesprochen:) Ward`s ihr
dabei? Hab ich auch bloß gehört, daß vielleicht drei
oder vier
Mann vielleicht Sachen gesagt haben, die vielleicht nicht richtig
warn. Aber der Großteil der Bürger war dagestanden, hat geschaut
und hat gar nichts gemacht."
Der später hinzugeeilte (amtierende) Bürgermeister bezieht nur
Stellung zu seiner Rathausfassade: "Wenn das alle machen würden,
wäre innerhalb weniger Tage die Rathauswand voll!"
gruppe 0,3 ohm
Redebeitrag (auszugsweise):
(...) Am 11.9.97 veranstalteten die jüdischen Landgemeinden einen
Lichterzug unter dem Motto: "Wer die Täter ehrt, verhöhnt die
Opfer" zum Gedenken an die damals deportierten Juden und Jüdinnen.
Auf ihrem Weg wurden die ca. 35 TeilnehmerInnen von einem Mob von
ca. 400-500 AdelsdorferInnen mit den Worten "Juden raus" und "Euch
hat man beim Vergasen vergessen" beschimpft, bespuckt und bedroht.
Die Schlußkundgebung ging in Pfiffen und Gejohle unter.
So wurde ihnen klargemacht, wer deutsch ist, wer zur
Volksgemeinschaft gehört, wer hier ein Recht auf Leben hat - und
wer nicht.
Das ist - in unseren Augen - offener Antisemitismus.
Im Zusammenhang mit diesen Vorfällen wurden in der Öffentlichkeit
die üblichen Erklärungs- und Entschuldigungsmuster wieder
ausgepackt. Es war die Rede von "Mischung aus Unbildung und
unterentwickelter Streitkultur", von "alten Vorurteilen, die den
AdelsdorferInnen in den 30er und 40er Jahren eingeimpft worden
seien" und von "großer Unselbständigkeit im
politischen Denken und
dem Hang zu Führerfiguren". So wurden, wie immer wenn es in
Deutschland um den Nationalsozialismus geht, die Täter zu Opfern
gemacht.
Damals wie heute setzen ganz normale BürgerInnen, ganz normale
Deutsche die Interessen und Privilegien ihrer Volksgemeinschaft
gegen die "Anderen" durch, sei es gegen MigrantInnen wie in
Rostock, Mölln oder Hoyerswerda oder gegen Juden und Jüdinnen wie
in Gollwitz oder eben hier in Adelsdorf.
(...)
Wir sind nicht der Meinung, das Adelsdorf eine besonders schlimme
Ausnahme, eine Insel der Ewiggestrigen im ansonsten geläutertem
Deutschland darstellt. Die deutsche Nation fußt seit ihrer
Gründung auf der Ausgrenzung des jüdischen
Bevölkerungsteils. Die
Shoah war keine bedauerliche Begleiterscheinung des
Nationalsozialismus oder des Krieges. Vielmehr bediente das
Programm der NSDAP die antisemitischen Ressentiments der Mehrheit
der deutschen Bevölkerung.
Die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden wurde mit dem
Wissen und der Unterstützung der Mehrheit der deutschen
Bevölkerung durchgeführt. Es ist nachgewiesen, daß sich
Täter wie
Bürgermeister Koch ohne Gefahr für ihre gesellschaftliche
Stellung, geschweige denn für ihre persönliche Sicherheit der
Beteiligung an den Verbrechen hätten verweigern können.
Die enge Verknüpfung zwischen Antisemitismus und deutschem
Nationalismus wird an der drastischen Häufung antisemitischer
Vorfälle seit der sogenannten Wiedervereinigung anschaulich
demonstriert.
Die Tatsache, daß sich die Adelsdorfer Bevölkerung hinter ihren
ehemaligen Bürgermeister stellt, zeigt wie viele andere Beispiele,
daß die Kontinuität des Antisemitismus in der BRD ungebrochen ist.
(...)