Der Pottensteinführer


Zum Buch von Peter Engelbrecht:
Touristenidylle und KZ-Grauen
Verlag C. u. C. Rabenstein, 240 Seiten, DM 28.-


Pottenstein, ein Luftkurort im Herzen der Fränkischen Schweiz, nahe dem oberfränkischen Bayreuth - ehemals bekannt durch seine Höhlen, Burgen und bizarren Felsformationen, - heute Synonym für NS-Verherrlichung.

Die Touristen, die hierher kommen, wollen sich ausruhen und erholen, weiß Bürgermeister Bauernschmidt zu berichten. Sie wollen vor allem eines nicht: ständig an die Vergangenheit erinnert werden. So ganz erspart bleibt sie dem Besucher allerdings nicht, die Vergangenheit: Noch immer prangt hoch oben nahe dem Eingang der Teufelshöhle eine Bronzetafel zu Ehren von Dr. Hans Brand, dem Erschließer einer der meist besuchtesten Tropfsteinhöhlen Deutschlands und "unermüdlichen Förderer des Fremdenverkehrs". "In Verehrung und Dankbarkeit" erinnert man sich seiner, das sei das mindeste, was man machen könne, so Altbürgermeister Körber, auf dessen Initiative hin das Städtchen Mitte der 80er auch eine Straße nach Brand benannte. Auch auf diese stoßen Touristen, wenn sie sich auf die Spuren der Vergangenheit begeben.

Lediglich auf die Reservistentreffen der alten SS-Kameraden von Hans Brand muß mittlerweile verzichtet werden, diese maschierten nämlich bloß bis 1987 in dem Städtchen. Entschädigung dafür bietet jedoch ein Blick ins Rathaus, dort befindet sich noch immer eine Federzeichnung des SS-Standartenführers, die Aufschluß über Brands Pläne für seine SS-Karstwehr nach dem Endsieg gibt. Wem das nicht reicht, der kann sich auf Erkundungstour nach einer bestimmten Gastwirtschaft begeben und nach einem Gemälde mit dem Konterfei des Führers fragen; aber Vorsicht ist angebracht, der Preis der vor einigen Jahren genannt wurde, war völlig überteuert. Bei alledem darf nämlich nicht vergessen werden: die Pottensteiner sind vor allem auch geschäftstüchtig.

Bis heute profitiert das Städtchen von der Arbeit, die KZ-Häftlinge für Brands SS-Eliteeinheit durchführen mußten; sie schufen die notwendige Fremdenverkehrsstruktur: bauten die Teufelshöhle mit aus, planierten den Großparkplatz davor, errichteten den Schöngrundsee, auf dem die Stadt einen Tretbootverleih in Betrieb nahm, und ebneten den Wander-und Busparkplatz vor den Toren der Stadt.

Wen scherts, daß über die Hälfte der 746 in Pottenstein zu Frondiensten herangezogenen Häftlinge aufgrund der harten Arbeitsbedingungen und der Lagerschikanen todkrank nach Flossenbürg zurück geschickt wurden. In Pottenstein störte sich niemand daran. Fast fünf Jahre mußten nach den ersten Veröffentlichungen des Journalisten und Autors Peter Engelbrecht im Dezember 91, ins Land ziehen, ehe sich die Stadt dazu durchringen konnte, der ermordeten Häftlinge in Form einer Tafel zu gedenken.

Damit es überhaupt dazu kam, mußte der Anstoß, wie so oft, von außen kommen. Mit der Errichtung einer Gedenktafel sollte der lästige Druck, den auswärtige Gruppen und die Medien erzeugten von dem Städtchen genommen werden. Damit nicht der Eindruck entstehe, man habe sich etwas aufoktroyieren lassen, bot sich flugs eine örtliche Jugendgruppe als Vermittler an und präsentierte der Öffentlichkeit einen Entwurf für die Gedenktafel.

Was dann kam, glich einem Ganovenstück! Pottenstein erinnerte nicht nur an "alle Opfer von Krieg und Gewalt" - und gab damit zu verstehen, daß die Häftlinge lediglich eine unter vielen Opfergruppen seien, die es posthum unter dem Missionskreuz zu versöhnen galt; - die Stadt setzte sich vielmehr eine eigene Gedenktafel, in dem sie auf den "Mut und die Hilfsbereitschaft", die den Häftlingen von Seiten der Bevölkerung entgegenbracht wurden, verwies. Diese sollen der Nachwelt "Mahnung und Vorbild" sein.

Es ist schon erstaunlich, was für eigenartige Resultate ein Spielfilm wie Spielbergs "Schindlers Liste" hervorzubringen vermag. Da wird nicht nur der Duz-Freund Himmlers Hans Brand von Bauernschmidt mit Oskar Schindler verglichen, weil er die Häftlinge von Flossenbürg nach Pottenstein holte, es wird der damaligen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit Vorbildcharakter bescheinigt, weil es laut Häftlingsaussagen einige unter ihnen gab, die sich den Umständen entsprechend anständig verhalten haben. Seit fünf Jahren nun wird gepredigt, daß das KZ im Grunde genommen ein Freizeitheim für erholungsbedürftige Häftlinge aus Flossenbürg gewesen sei und ohne Gottes Segen und Brands Willen dieses Wunder nie hätte verwirklicht werden können.

Seit mehr als fünf Jahren stehen dieser "Dimension der Verdrängung" die Rechercheergebnisse Engelbrechts entgegen, aber selbst der Nachweis, daß Brands SS-Karstwehr, Massaker an der Zivilbevölkerung im ehemaligen Jugoslawien verübte, führte in Pottenstein zu keinem Umdenken. Hans Brand hat längst den Heiligenstand erlangt. Eine Unterschriftensammlung für die Verlegung seines Grabes von Bayreuth nach Pottenstein hätte sicherlich mehr als eine Handvoll Pottensteiner Namen aufweisen können. Gerade soviel unterstützten nämlich die Forderung eines Gedenksteines für die Häftlinge.

In Pottenstein scheint es, stößt jede Initiative unweigerlich an die Grenzen der Aufklärung. Aber vielleicht darf das Städtchen nicht überfordert werden. Schließlich hat Bürgermeister Bauernschmidt erst unlängst auf Anfrage der NN bezüglich der Federzeichnung Brands im Rathaus - wenngleich auch nach einigem Zögern - erklärt: "Ich glaube, ich habe das Bild abgehängt". - Kein Kommentar!(1)

Es gibt auch weitaus wichtigeres zu tun in Pottenstein. Mittlerweile läßt das Städtchen Grabungen zum Verdruß renomierter Höhlenforscher und auf zweifelhafter Rechtsgrundlage, wie der NN zu entnehmen war, in der Teufelshöhle anstellen.(2) Offiziell heißt es, man suche nach einer neuen Halle, die Brand bei seinen Ausgrabungen entdeckt habe. Unter der Hand gab Bauernschmidt jedoch zu verstehen, daß die eigentliche Suche NS-Dokumenten gilt, die Brand vor den heranrückenden Alliierten in der Teufelshöhle ausgelagert haben soll. Daß derartige Pläne existierten, belegt die Korrespondenz des SS-Ahnenerbes, die von den Amerikanern aufgefunden wurde. All das findet sich gut dokumentiert bei Engelbrecht. Daß seine Recherchen lediglich zur "Schatzsuche" verwandt werden, beweißt wiederum die Geschäftstüchtigkeit Pottensteins.

Wer als Wanderer nach Pottestein kommt, sollte nicht nur nach Burgen, Höhlen und bizarren Felsformationen Ausschau halten, sondern sich auch nach Hans Brand erkundigen, denn daß dieser "ein guter Mensch" sei, wer möchte daran zweifeln? Wenn das der Führer wüßte!
Marzipan S.
1 Nordbayerische Nachrichten, 5.12.97
2 Ebd., 15.12.97