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Singer und kein Ende

Am 26.5. fand am Amtsgericht Erlangen der Prozeß gegen zwei Männer statt, die angeblich die Veranstaltung des Erlanger Bundes für Geistesfreiheit mit dem australischen Euthanasiepropagandisten Peter Singer gestört hatten. Paralell dazu fand unbemerkt von der interessierten Öffentlichkeit eine Veranstaltung der Regionalgruppe Erlangen-Nürnberg der Gesellschaft für analytische Philosophie in den Räumen der Universität statt, bei der Peter Singer sein neues Buch vorstellte.

Hierzu haben wir Interviews zum einen mit Vertretern der Veranstalter (Prof. Dr. Theo Ebert und Alexander Brungs M.A.) und zum anderen mit Udo Sierck (Buchautor und Journalist), als Vertreter der Behindertenbewegung. Das Interview mit den Veranstaltern ist laut Prof. Dr. Theo Ebert und Alexander Brungs "zur Veröffentlichung in der Was Lefft bestimmt. Andere Verwendungen bedürfen der schriftlichen Zustimmung durch die Interviewgeber."

Interview mit Prof. Dr. Theo Ebert und Alexander Brungs, Vertreter der Regionalgruppe für analytische Philosophie.

WL: Am 26. Mai hat die Gesellschaft für analytische Philosophie, Regionalgruppe Erlangen-Nürnberg, eine Veranstaltung mit Peter Singer gemacht. Worum ging es in dieser Veranstaltung?

PROF. DR. THEO EBERT: Das Vortragsthema war: "Organ transplantation and the definition of death". Singer hat dabei in Kurzform die Thesen seines neuen Buches "Redefining life and death" vorgestellt, das gerade auch in deutscher Übersetzung erschienen war. Bei dem Vortrag ging es im wesentlichen um die Frage, ob die Hirntoddefinition, die von einer medizinischen Komission (Harvard committee) festgelegt worden ist, eingeeignetes Kriterium für die Feststellung des Todeszeitpunktes ist, bzw. ob nicht medizinische und andere Gründe dafür sprechen, diese Definition anders zu fassen. Singer versuchte zu zeigen, das dieses für die Transplantationsmedizin wichtige Kriterium aus unterschiedlichen Gründen für die Feststellung des Todes nicht geeignet ist. Es ging nicht um die Fragen, die Singer in Deutschland ins Zentrum der Kritik gerückt haben, also die Frage der Tötung schwerstbehinderter Neugeborener.

WL: Welcher Personenkreis war eingeladen bzw. war anwesend?

PROF.DR.THEO EBERT: Eingeladen waren im wesentlichen Studenten der Philosophie und Lehrende der Philosophischen bzw. anderer Fakultäten, außerdem hatte der Fischer-Verlag aus Erlangen, der im Rahmen der Vorstellung der deutschen Ausgabe des neuen Buches von Singer mitbeteiligt war, auch einige Journalisten eingeladen.

WL: Aufgrund von Protesten vor allem aus der Behindertenbewegung wurden Veranstaltungen mit Singer des öfteren abgesagt bzw. verhindert. War dies der Grund warum die Veranstaltung mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand?

PROF. DR. THEO EBERT: Das kann man so sagen, ich möchte aber hinzufügen, daß es auch der Wunsch von Peter Singer war, die Veranstaltung so zu organisieren, daß sich Ereignisse wie bei der früheren Veranstaltung vor zwei Jahren nicht wiederholen würden. Das haben wir dann auch so einzuhalten versucht.

A. BRUNGS: Er hätte anderenfalls auch darauf verzichtet zu sprechen, d.h. es ging ihm nicht darum, ein Forum zu bekommen, sondern er wollte sonst gar nicht kommen.

PROF. DR. THEO EBERT: Vielleicht einige Anmerkungen zu der Diskussion über Peter Singer bzw. der Diskussion, ob er in Deutschland überhaupt auftreten und reden sollte. Da hat sich ja eine merkwürdige Koalition aus Behindertenvertretern, Linken und christlichen Fundamentalisten gebildet, die versuchen, Veranstaltungen zu verhindern, und die auch Veranstaltungen verhindert haben. Ich finde das sehr bedauerlich, weil gerade Linke nicht versuchen sollten, Zensur zu üben, und das wird ja hier faktisch gemacht. Das Recht, die eigene Meinung öffentlich zu äußern und diese auch mit anderen zu diskutieren, ist ein sehr fundamentales Recht und ein Recht, um das lange gekämpft worden ist. Und es ist vor allem für Linke ein ganz wesentliches Recht, denn wer die Welt verbessern will, der muß die Möglichkeit haben, seine Meinung ohne Einschränkungen zu äußern und zur Diskussion zu stellen. Wenn man die Zensur gewissermaßen durch die Hintertür wieder einführt, fördert man mit dieser Praxis gerade die Bestrebungen in Gruppen, die ein Interesse daran haben, wieder Zensurmaßnahmen ergreifen zu können z.B. religiöse Großgruppen und ihre Oberhäupter, ob das nun der Ayatollah Khomeini ist oder der Papst. Im übrigen läßt sich der Spieß ja auch leicht umdrehen: Wenn die potentielle Gefährlichkeit von Schriften ein Grund ist, ihre Behandlung in Seminaren und in Vorträgen zu verbieten, was ist dann mit Texten, denen man einen Einfluß auf die Weltgeschichte in Richtung Stalinismus unterstellen kann?

Schließlich schafft man auch durch Äußerungen, die man Peter Singer unterstellt hat, etwa das angeblich Zitat, daß man lebensunwertes Leben vernichten sollte, was er nie gesagt hat und was auch das Gegenteil seiner Meinung ist, diesen Themen Respektabilität in rechten, neofaschistischen Kreisen und das sollte man auch bedenken. Rein pragmatisch ist natürlich die bisherige Kampagne gegen Singer aus Sicht der Betreiber ohnehin kontraproduktiv, man hat dadurch den Thesen Singers eine große Aufmerksamkeit verschafft, sein Buch "Praktische Ethik" hatte nach den Protesten enorme Verkaufszahlen, er wurde in der "Zeit" groß behandelt und konnte im österreichischen Fernsehen diskutieren. Faktisch läuft die Kampagne gegen Singer mit den Methoden, wie sie auch in Erlangen vor zwei Jahren angewendet wurden, nur darauf hinaus, daß Leute, die meinen, Singer wegen bestimmter Dinge kritisieren zu müssen, sich von einer Diskussion mit Singer ausschließen. Ich halte das, gerade wenn man Singer kritisieren will, für unsinnig.

WL: Wie stehen Sie zu dem Ansatz Singers, Leid oder Qualen zum Maßstab der moralischen Erlaubtheit der Tötung von Neugeborenen anzunehmen?

PROF. DR. THEO EBERT: Eine schwierige Frage. Wie Singer in dem mit Helga Kuhse publizierten Buch ("Soll dieses Kind am Leben bleiben?", A.d.Red.) an zahlreichen Fällen aus der Praxis der Krankenhäuser gezeigt hat, wird praktisch nach dem Kriterium des absehbaren Leids in den Kliniken entschieden. Was Singer fordert, ist, daß über diese Frage nicht einfach nur von Ärzten entschieden wird, denn das ist keine nur medizinische, sondern ein moralische Frage, und daß nach Kriterien gesucht wird, die eine in solchen Fragen halbwegs verbindliche und gesellschaftlich akzeptierte Entscheidungsmöglichkeit schaffen. Es ist im übrigen nicht so, daß er sagt, bei absehbarem Leiden sei in jedem Falle Tötung erlaubt, sondern wenn mit großer Sicherheit ein absehbar qualvolles Ende zu erwarten ist. Meine eigene Meinung zu dieser Frage ist, daß hier niemals die Interessen anderer als die des betreffenden Kindes den Ausschlag geben dürfen. Man sollte aber auch bedenken, daß es moralisch problematisch ist, etwa schwer leidenden, aber bewußten Patienten die Entscheidung über ihr Lebensende mit ärztlicher Hilfe zu erlauben (wie das etwa in Holland gemacht wird), aber anderen menschlichen Wesen, die nicht bewußt entscheiden, aber sehr wohl bewußt leiden können, diese Leiden in einer analogen Situation (absehbares Lebensende) nicht abzunehmen. Im übrigen, um auf Singer zurückzukommen, sollte man ihn nicht mit Positionen identifizieren, die er in seinem Buch ("Praktische Ethik", A.d.Red.) nur darstellt, aber nicht selbst vertritt, also etwa das Beispiel der Bluterkinder.

WL: Kann durch diesen "Leid- und Qualaspekt" nicht der Option Vorschub geleistet werden, das Lebensrecht von Menschen, denen Leid und Qualen unterstellt werden und die sich nicht äußern können, das Lebensrecht abzusprechen?

PROF. DR. THEO EBERT: Ich sehe diese Gefahr eigentlich nicht, denn wenn die Qualen nur unterstellt werden, wenn man nicht sicher ist, ob Qualen vorliegen, dann kann dies natürlich kein Argument sein. Aber ich denke, ob jemand leidet, ob jemand Atemnot hat, ob er körperliche Schmerzen hat, selbst bei Menschen, die sich dazu nicht sprachlich äußern können, also bei Kleinkindern insbesondere, ist das doch am Verhalten dieser Wesen abzulesen, so daß man da nicht nur im Dunkeln herumstochert. Im übrigen geht es ja nicht um das Absprechen eines Rechtes auf Leben, sondern darum, daß es im Interesse des leidenden Wesens ist, seine zum Tode führenden Qualen zu beenden. Natürlich gibt es hier das Problem, daß wir nicht mit absoluter Sicherheit wissen können, wie es im Innern eines solchen Wesens aussieht. Aber wenn man einmal von den Fällen ausgeht, bei denen nach menschlichem Ermessen keine Überlebenschance besteht und der Rest der Existenz absehbar qualvoll ist, dann scheint mir jedenfalls eine aktive Tötung nicht von vorneherein moralisch verwerflich. Daß dabei eine Menge Sicherungen notwendig sind (Befragung der Angehörigen, Zuziehung eines zweiten Arztes etc.), möchte ich dabei ausdrücklich unterstreichen.

WL: Wie stehen Sie zu dem Ansatz Singers, das Lebensrecht behinderter Säuglinge durch die potentielle Überforderung der Eltern in Frage stellen zu lassen?

PROF. DR. THEO EBERT: Man muß vorsichtig sein mit dem Begriff "behindert" an dieser Stelle. Singer redet von "Schwerstbehinderten" (im Englischen "severely disabled", nicht "handicapped"). Ermeint wirklich Kinder, bei denen nach der Geburt medizinisch absehbar ist, daß sie keine Lebenschancen haben oder nur sehr geringe und die Frage ist, ob versucht werden soll, diese durch bestimmte Operationen zu vergrößern oder nicht (Er erörtert das in "Soll dieses Kind am Leben bleiben?" an dem Fall der Spina-Bifida-Kinder). Aber im Prinzip würde ich sagen, die Belastung der Eltern kann kein Argument für das Beenden einer Existenz sein, wenn denn Überlebenschancen da sind. Es kann nur ein Argument dafür sein, daß hier die Gesellschaft in größerem Maße finanzielle Aufwendungen erbringen muß, um solche Wesen dann am Leben zu erhalte.

A. BRUNGS: Ja, dem kann ich mich auch nur anschließen. Die Belastung der Eltern kann niemals hinreichendes Kriterium sein zur Entscheidungsfindung in Situationen, in denen es um Leben und Tod geht.

WL: Besteht dadurch nicht die Gefahr, das Lebensrecht behinderter Menschen unter Kosten-Nutzenaspekten zu diskutieren?

A. BRUNGS: Das ist kein spezielles Problem, das nur Singer hat mit seinen Thesen zur Ethik, sondern allgemein ein Problem konsequentialistischer (= Handlungsfolgen-orientierter) oder utilitaristischer Ethiken. In diesem Rahmen kann man immer Fälle konstruieren, in denen ein Einzelner auf Kosten der großen Gemeinschaft mit Blick auf die Maximierung des Wohlergehens von möglichst vielen dran glauben muß. Es ist keine Schwierigkeit, die sich nur Singer stellt. Im übrigen aber ist die Abwägung von Kosten-Nutzen-Aspekten durchaus nicht per se zu verwerfen, sondern häufig erforderlich. In diesem Zusammenhang läßt sich etwa an die Nachrüstungsdebatte der achtziger Jahre denken. Ein häufig vorgebrachtes Argument der Rüstungsgegner war damals, daß die vom Militärhaushalt verschlungenen Gelder an anderer Stelle für humanitäre Aufgaben fehlten, zum Beispiel in der Entwicklungshilfe. Die Gefahr von fehlerhaften Überlegungen und Fehlentscheidungen besteht natürlich immer. Sie besteht auch für Leute, die Singers Ansichten nicht teilen; man kann sich ihr nur durch Nicht-handeln entziehen, und das ist in vielen Fällen moralisch verwerflich. Sobald man Verantwortung wahrnimmt, besteht immer die Gefahr, daß man falsch handelt oder in verengter Perspektive abwägt. Zur Vermeidung dieser Verengung des Blicks ist unter anderem die öffentliche Diskussion ethischer Fragestellungen hilfreich.

WL: Peter Singer wird häufig als Faschist bezeichnet. Dies ist sicher falsch. Doch besteht nicht das Problem, das die "neue Rechte" die bioethische Diskussion benutzt, um Fragen der Eugenik zu thematisieren ?

PROF. DR. THEO EBERT: Die Gefahr besteht natürlich, aber die Frage ist doch, ob das ein Grund ist, die Diskussion darüber zu unterbinden. Die "neue Rechte" wird das sicherlich nicht davon abhängig machen, die werden die Argumente, wenn sie ihnen passen, in jedem Fall benutzen. Im übrigen ist Singer für diese Leute kein brauchbarer Anwalt, da er die Rechte des Individuums betont, und das steht im Gegensatz zum Denken über Volksgemeinschaft und Staat, an das sich die "neue Rechte" gerne klammert. Singer ist ein Sohn österreichischer Juden, die nur knapp den Nazis entkommen sind. Von seinen vier Großeltern hat nur eine Großmutter die KZs Nazideutschlands überlebt.

A. BRUNGS: Ich glaube auch, daß die Gefahr einer unerwünschten Vereinnahmung nicht besteht, und darüberhinaus ist es auch vollkommen uninteressant, ob sich die "neue Rechte" oder die Linke oder sonst irgendwer an irgendetwas aufhängt. Es gibt ganz grob gesagt zwei verschiedene Sorten von Argumenten, nämlich tragfähige und nicht tragfähige. Wenn ein Argument richtig ist, dann ist es vollkommen egal, wer es vorbringt, dann hat er oder sie recht. Wenn es falsch ist, dann kann er auch ein guter Freund von mir sein und hat trotzdem nicht recht.

WL: Vielen Dank


Interview mit Udo Sierck (Buchautor und Journalist), als Vertreter der Behindertenbewegung.

WL: Was ist die Kritik der "Behindertenbewegung an Peter Singer?

UDO SIERK: Der »Euthanasie«-Propagandist Peter Singer vergleicht manche behinderte Kinder mit pflanzenähnlichen Wesen und nimmt in diesem Zusammenhang gegen die Verwerflichkeit des Tötens von Menschen Stellung. Voraussetzung für seine in die »Euthanasie« -Forderung mündenden Logik sind die von ihm selbst entwickelten Kriterien für die Existenz von glücklichem Leben: Das zentrale Entscheidungskriterium über Leben und Tod ist die Personalität, definiert als die Fähigkeit, Selbstbewußtsein sowie ein Bewußtsein für die Vergangenheit und die Zukunft entwickeln zu können. Dieser Ansatz beinhaltet, daß behinderte und alte Menschen oder Unfallopfer getötet werden dürfen, wenn Außenstehende das Fehlen der Personalität unterstellen.

Kristallisationspunkt der Forderung nach der Möglichkeit der legalen Tötung ist die »happy normal family«, - ein Ehepaar mit zwei properen Sprößlingen. Da behinderte Kinder nicht in dieses Ideal passen und weil ihre Existenz die Eltern davon anhalten würde, weiteren (nichtbehinderten) Nachwuchs in die Welt zu setzen, wird ihnen die Rolle des »Euthanasie«-Opfers zugedacht.

Diese Tötungsphilosophie hat deshalb Konjunktur, weil sie eine Tendenz in der Medizin stützt, in dem die aufwendige und kostspielige Versorgung immer einseitiger nach Nützlichkeitserwägungen organisiert wird.

WL: Warum verhindert die "Behinderten bewegung" Veranstaltungen mit, oder über Peter Singer, bzw. versucht das?

UDO SIERK: Der Protest gegen Singer nährt sich auch aus dem historischen Wissen der »Euthanasie« im NS-Regime. Die ungestörten Debatten in der Weimarer Republik über das Lebensrecht behinderter Kinder mündetetn in die Tötungsaktionen. Die Frage im Rückblick ist: »Warum hat sich fast niemand gewehrt ?« Unsere Antwort mündet in Protest und die Feststellung, daß es über unser Lebensrecht nichts zu diskutieren gibt.

Es droht derzeit keinr planmäßige Selektion an Anstaltsinsassen, aber die derzeit gehandelten Kriterien und Argumente ähneln sehr genau denen des Wernel Catel, Obergutachter der ab Herbst 1939 im NS-Regime anlaufende Kindermord-Aktionen. Catel vertrat bis in die siebziger Jahre die Position, daß Neugeborene aktiv zu töten seien, die ein personales Dasein nicht erreichen werden. Dazu zählte er die Fähigkeit, Zukunft und Vergangenheit bewußt und selbstbewußt zu erleben sowie das Fehlen jeglicher Vernunftbegabung, Autonomie und Rationalität. Catel erregte vor zwanzig Jahren noch die Gemüter; der fern jeder Tätergeschichte importierte Singer wird nicht zuletzt an Universitäten gern gelehrt. Wenn aber die Inhalte die gleichen sind, muß der Täter wie der »Ethik«-Professor auf Widerstand stoßen.

WL: Häufige Kritik an dem Vorgehen der "Behindertenbewegung" ist der Vorwurf der Zensur. Wie stehst du dazu?

UDO SIERK: Die Behindertenbewegung fordert seit zwanzig Jahren eine Auseinandersetzung, warum im Alltagsbewußtsein Behinderung mit Leid, Elend und Unglück gleichgesetzt wird. Ohne Erfolg. Stattdessen werden wir aufgefordert, an Überlegungen teilzunehmen, bei wem von uns keine Lebensqualität vorliegt, und wer deshalb eliminiert werden darf. Den meisten von uns wird keine Selbstbestimmung garantiert, stattdessen gönnt man uns plötzlich den selbstbestimmten Tod. Das macht stutzig und läßt Zweifel am wertfreien Dialog aufkommen. Die neue »Euthanasie«-Diskussion kommt unter dem Anspruch eines ausgewogenen ethischen Diskurses über Lebenswertigkeiten daher. Hinter dem harmlos klingenden Begriff der »Angewandten Ethik« versteckt sich die Neuauflage der alten »Euthanasie«-Debatte, die an der Behauptung festhält, daß es »unwertes Leben« gibt, das zu töten eine Erlösung für alle Beteiligten bedeuten würde. Wenn mich wer als »minderwertige Existenz« bezeichnet, hört für nich die Meinungsfreiheit auf.

WL: Wie stehst du zu dem Ansatz Singers, Leid und Qualen bzw. die zuerwartende Überlastung der Eltern zum Maßstab der moralischen Erlaubtheit der Tötung von schwerstbehinderten Neugeborenen anzunehmen?

UDO SIERK: Die Tatsache, daß Eltern sich zunächst fast ausschließlich mit Todesphastasien gegenüber dem neugeborenen Kind tragen, sobald sie realisieren, daß es behindert ist, kennzeichnet die Brisanz von Vorschlägen der »Euthanasie«-Verfechter, die zur Entschärfung der Bedenken und der Kritik am Machtpotential der Medizin die Eltern in die Entscheidung über Behandliung und Nicht-Behandlung, also über Leben und Tod, einbeziehen wollen.

Das Einverständnis der Eltern war auch die Basis einer Petition, die die französische »Vereinigung zu Verhütung behinderter Kinder« an das europäische Parlament richtete. Sie begründete ihre (gescheiterte) Gesetzesinitiative damit, daß Behinderungen allgemein nicht zu vermeiden und deshalb wenigstens behinderte Neugeborene zu töten seien.

WL: Kann man sagen, daß Thesen, wie die Singers, Wegbereiter für die "neue Rechte" sind?

Udo Sierk: Es gibt wenige Artikel aus dem Lager der »neuen Rechten«, die Singer lobend erwähnen. »Euthanasie«-Maßnahmen passen in das biologistische Weltbild,. Aber die Rechte hält sich bedeckt, die Debatte läuft ja ganz gut ohne sie. Wichtig erscheint mir deshalb die Auseinandersetzung mit den Protagonisten der Tötungsphilosphie unter einem besonderen Aspekt: Die »Euthanasie«-Debatte forcieren in Deutschland Dozenten und Dozentinnen aus dem linksliberalen Spektrum, die Forderung nach Legalisierung der Tötung von Patienten kommt ebenso von Leuten, die aus der Umwelt- und Friedensbewegung kommen, die »Emma« feierte von kurzem Peter Singer ohne wenn und aber ab.

Der durchaus kritisch zu beobachtende Frankfurter Neantologe Prof. Dr. Volker von Loewenich erinnert sich an einige seiner Assistenten der 68er- Generation: »Die hätten bei den meisten Frühchen, die wir behandelten, am liebsten sofort die Apparate abgestellt und haben mir bittere Vorwürfe über die Unmenschlichkeit der Medizin gemacht«. Das bedeutet: Hätten die wilden »68er« seinerzeit freie Hand gehabt,müßte die Behindertenbewegung heute ohne einige ihrer Frauen und Männer auskommen.

WL: Vielen Dank für das Gespräch.